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Halt in der Haltlosigkeit

Wie viel Raum geben wir uns selbst?

Die letzten drei Jahre standen bei mir im Zeichen des Umbruchs. Innerlich, aber auch äusserlich. Vor allem zuletzt. Doch beginnen wir von vorn. 2021 verbrachte ich beinahe ausschliesslich «auf Reisen». Was mit Schweden begann, endete mit einer Refugiumssuche in Italien und durch halb Mittelamerika, ehe es mich im Dezember vorerst endgültig ins Tessin verschlug.

Dort fühlte ich mich heimisch, geradezu energetisiert. Nach Monaten der inneren Unruhe und der Unwissenheit, wohin mit mir, fing ich an, wie manisch zu schreiben. Ich hatte das Gefühl, endlich «angekommen» zu sein. An einem Ort, aber auch bei mir. Hier wollte ich bleiben. Also ging es vom kleinen Winterrustico zwei Dörfer weiter in einen 350 Jahre alten Palazzo, dessen zwei Jahre Wohnaufenthalt meinerseits meine Verbindung zum Tessin, seiner Natur und Kultur als auch zu seinen Menschen nicht gerade schmälerten. Doch nichts ist für immer. Das durfte ich in den letzten vier Monaten zu Genüge lernen. Mauern, die einst Geborgenheit ausgestrahlt haben mögen, lassen sich mit ein wenig Distanz auch mit viel Schwere assoziieren. Das Auseinandergehen von einem Menschen kann ein Zuhause zu einem Ort werden lassen, an dem man einst gelebt hat. Und das Schicksal eines Tals, das von seinem namensgebenden Fluss verwüstet wurde, kann einem das Herz zerreissen.

Die Frage nach der räumlichen Verortung, aber auch mein Sicherheitsglaube und Wunschdenken wurden abermals aus ihren Angeln gehoben. Die Frage des «Wohin mit mir?» brach erneut auf. Genau wie ich. Nämlich ins Zelt. Sei es im benachbarten Tal bei Freunden, an den Steilküsten Portugals oder auf Sardinien: Die Durchlässigkeit des Zelts für Luft, Klima, Gerüche und – allem voran – Geräusche verband jene Stücke meines Selbst, die zuvor selbst ihres Zusammenhangs entrissen wurden und entsprechend an Ortlosigkeit litten. Ob Meeres- oder Olivenhainrauschen, Hundegebell oder unerwünschte Prollnachbarn: Gefühlt nichts störte mich. Eben weil unter diesem Eindruck von Zusammengehörigkeit mir nichts als fremd oder gar als ausgrenzenswert vorkam. Das war das Leben.

von Lilly Gebert


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