Keine Zeit für Geschichten?
Wir leben in einer so dramatischen Gegenwart, dass nur noch Informationen zählen – und für Geschichten keine Musse mehr bleibt.
Als vor vier Jahren der Lockdown über die Welt hereinbrach, verstummte auch die Kultur. Keine Konzerte mehr, kein Theater, kein Kino, keine Lesungen, keine Comedy. Alles, was noch öffentlich stattfand, fand online statt. Aber auch online gab es keine Kultur mehr. Im wörtlichen Sinn. Es gab nur noch Propaganda.
Dann tauchten die ersten kritischen Stimmen auf. Kritische Ärzte, kritische Virologen, kritische Journalisten und wachsame Bürgerinnen und Bürger. Sie alle kämpften mit Information und mit Intuition, mit Kopf und mit Herz gegen die Propagandaflut an. Doch kritische Kulturschaffende fehlten.
Dann erklangen die ersten Stimmen, die ersten Akkorde von Musikern. Sie sangen und spielten gegen die Propaganda an, gegen die Lüge, für die Wahrheit und für die Freiheit. Sie wurden dankbar empfangen, denn Musik wärmt die Herzen, sie nährt die Hoffnung und befeuert den Mut.
Doch die Musiker, die an den Kundgebungen – den erlaubten und nicht erlaubten – die Bühne betraten, waren gering an der Zahl. Auch bei uns, in der Schweiz. Um sie zu zählen, brauchte man eine einzige Hand. So ist es immer noch.
Wo blieben die anderen? Wo blieben die Stars? Sie schwiegen. Aus Schwäche, aus Existenzangst. Oder sie machten mit, glaubten an die Impfpropaganda und fanden den Ausschluss der Ungeimpften leider notwendig. Sie liessen sich vor den Karren der Lüge spannen. Dieselben Bands, dieselben Sängerinnen und Sänger, deren Musik uns immer begleitet hatte, für die wir an Festivals und Konzerte gepilgert waren – dieselben Musiker verrieten all das, was uns heilig war. Indem sie über uns spotteten oder sich schweigend zu Mittätern machten. Wir konnten es nicht begreifen. Wie können Menschen, die etwas Künstlerisches, etwas Schönes gestalten, eine so menschenfeindliche Einstellung haben?
Weil Musiker keine besseren Menschen sind, nur weil sie gute Musik machen. Sie haben Talent. Sie besitzen die Fähigkeit, Melodien und Klänge, die eine Botschaft des Himmels sind, in Musik umzusetzen, in Kompositionen und Songs. Auch die Texte der Songs, die darin enthaltenen Bilder sind eine höhere Gabe. So entsteht jede Kunst. Wahre Kunst ist himmlische Inspiration. Kaum verlassen Musiker aber die Bühne, sind sie Zeitgenossen wie jeder von uns. Dann zeigt es sich, ob sie nur mit dem Kopf oder auch mit dem Herzen denken. Und wenn der Erfolg ihnen schmeichelt, vergessen sie manchmal das Herz.
So war es auch bei Corona. Der Mainstream macht aus Musikern Stars. Er propagiert und bezahlt sie. Er denkt für sie. Stars müssen liefern, damit sie Stars bleiben. Deshalb haben sie keine Zeit und keine Notwendigkeit für ein unabhängiges Denken. In den Arenen des Mainstreams zu singen und gegen den Mainstream, gegen die Impfung, gegen die Experten zu denken, das schafften sie nicht. Auch die meisten Filmemacher zogen das Schweigen vor. Die meisten Schauspieler. Die meisten bildenden Künstler. Und sogar die meisten Comedians. Gerade sie, die Hofnarren der Gesellschaft, nahmen ihre Bestimmung nicht wahr. Unter den Arrivierten waren es wenige Ausnahmen. In der Schweiz im Grunde nur eine einzige. Er musste büssen für seine Verweigerung.
Und schliesslich: Auch die Schriftsteller schwiegen. Es war ein dröhnendes Schweigen. Und es hält immer noch an.
Wenn ich von Schriftstellern spreche, meine ich damit Autoren, die Prosa schreiben. Romane, Erzählungen, Kurzgeschichten, literarische Essays, vielleicht auch Gedichte. So wie der Musiker aus höheren Sphären Musik empfängt, so werden dem Autor Geschichten geschenkt. Sie fliegen ihm zu. Doch kaum schiebt er die Schreibmaschine beiseite, ist auch er ein gewöhnlicher Zeitgenosse. Und aus dem einstigen Dichter, dem Schöngeist, ist ein Intellektueller geworden, der nicht an Gott, sondern an die Wissenschaft glaubt. Je grösser die Auf lagen seiner Bücher sind, umso mehr ergeht es ihm wie dem Musiker. Umso mehr muss er liefern. Umso weniger muss er sein Herz befragen.
Kein bekannter Belletristikautor in der Schweiz hat sich dem Mainstream in den letzten vier Jahren entgegengestellt. Keiner. Nicht einmal in ihren Romanen, in ihren Werken haben sie dem Staat widersprochen. Nur ein paar wenige gibt es, am Rande der Literaturszene, die sich zur Opposition und zur Freiheitsbewegung bekennen. Vom grossen Strom haben wir uns schon lange verabschiedet. Und wenige sind wir auch deshalb, weil wir keine Sachbücher schreiben. Wir bringen keine unterschlagenen Facts, keine signifikanten Zahlen, keine wichtigen Analysen, keine alternativen Gesellschaftsentwürfe. Auch spirituelle Bücher schreiben wir nicht. Wir formulieren höchstens Gedanken, wir zeichnen Bilder mit Worten, wir schmieden Verse, und vor allem: wir erzählen Geschichten.
Das ist zurzeit nicht gefragt, so kommt es mir vor. Zu Podiumsgesprächen wird eingeladen, Referate werden gehalten, Vortragsabende finden statt – aber keine Erzählabende. Die Freiheitsbewegung hat keine Zeit für Geschichten. Sie hat Wichtigeres zu tun. Ich begreife das. Die Welt ist im Aufruhr, sie treibt uns erbarmungslos vor sich her, da bleibt nach all den Informationen und Argumenten bloss noch Raum für Entspannung mit Comedy und Musik.
Wäre mein Bleistift doch eine Gitarre! Ich bin bloss ein Erzähler und ein Gedankengänger. Aber ich glaube an die heimliche Kraft von Büchern, die keine Sachbücher sind. Ich glaube an die Magie von Geschichten. Sie zeigen das Grosse im Kleinen, das Politische im Persönlichen, das Spirituelle im Menschlichen. Gute Geschichten werden vom Leben geschrieben.
von Nicolas Lindt
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Nicolas Lindt ist Schriftsteller aus Wald und Segnas. In seinen Werken und in seinem Podcast «Fünf Minuten» erzählt er wahre Geschichten. Er tritt am Sommerfest von Graswurzle und Aletheia am 29. Juni in Stetten AG mit «Zeit für Geschichten» auf.
nicolaslindt.ch
fuenfminuten.ch
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