Jetzt gehts ans Eingemachte

Wenn die Grosszügigkeit der Natur nachlässt, sie ihre Kräfte zurückzieht und keine frischen Lebensmittel mehr in den Gärten und auf den Feldern wachsen, greifen wir zu den Vorräten. So zumindest war es bei unseren Vorfahren. Dann wurde es ernst: Es zeigte sich, ob man vorgesorgt und sich gut auf den Winter vorbereitet hatte.

Bis in die 1960er-Jahre wurden in den meisten Haushalten Obst, Gemüse oder andere
Lebensmittel eingekocht. Heute wird diese Kulturtechnik mit einem neuen Bewusstsein wiederentdeckt und erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Mit Einwecken, Einkochen, Fermentieren, dem Haltbarmachen von gesunden Lebensmitteln, kann man sich viel Unabhängigkeit, Gesundheit und Freude schenken.

Wir machen uns auf den Weg zu Claudia in Andermatt, die uns viel Auskunft über die Kunst des Einmachens geben kann. Die Reise zu ihr führt uns durch eine der eindrücklichsten Gegenden Mitteleuropas: Die sagenumwobene Schöllenenschlucht. Die Route nach Andermatt im Herzen der Schweiz war einst eine der am schwersten passierbaren Strecken. Heute fahren wir die Haarnadelkurven im Auto mit Sitzheizung und GPS-gesteuertem Navi. Was hält Menschen an diesem abgelegenen Ort im Kanton Uri, wo die Bauindustrie in den letzten Jahren monumentale Hotels errichtet hat, die den Einheimischen die Aussicht versperren? Und wie steht es um deren Freiheit?

Auch bei Claudia ging es immer wieder ans Eingemachte: Sei es der Wolf, die invasive Tourismusindustrie oder Corona – ihr Vorrat an Mut und Zuversicht war in den letzten Jahren wichtiger denn je. So schenkt uns Claudia einen Einblick in ihr bewegtes Leben:

«Wir halten rund 40 Schafe, die fast ausschliesslich draussen sind. Im Sommer bei uns in und um Andermatt, im Winter auf Weiden im Unterland. Unsere Schafe waren zuvor über den Sommer auf einer Alp in einem abgelegenen Alptal. Wir besuchten sie alle paar Tage. Die Tour, um die Tiere zu sichten, dauerte den ganzen Tag.

Im Sommer 2014 hatten wir einen Wolfsangriff, 21 Schafe wurden uns gerissen. Ich mag mich genau daran erinnern: Es war für mich ein schlimmer Schock, schon die Stimmung, als wir hochkamen, war ganz komisch. Wir hatten noch Hirtenbuben dabei, diese waren ganz verstört. Da kamen verletzte Schafe auf uns zu, die eine Seite offen hatten. Viele lagen tot herum. Ich schlief viele Nächte schlecht und es hat einiges an Überwindung gebraucht, um mit den Schafen weiterzumachen. Für uns war von da an klar: Ungeschützt sind die Schafe nicht mehr unterwegs. Weil die Runde zu den Schafen sechs bis acht Stunden dauert, gehen sie auch nicht mehr auf die Alp, denn unter diesen Umständen hätten wir sie höchstens alle zwei Tage besuchen können, und das war für uns zu wenig. Darum sind sie jetzt rund um Andermatt, wo wir sie täglich besuchen können. Als Schutz vor dem Wolf sind heute Lamas und Esel bei der Herde. Das funktioniert gut. Die Lamas sind neugierige Tiere und ängstigen sich nicht vor dem Wolf. Das verunsichert den Wolf und er traut sich nicht anzugreifen.

Andermatt, wo ich seit 25 Jahren lebe, hat sich in den letzten Jahren stark verändert: die grossen Bauten, der internationale Tourismus. Stehe ich während der Hochsaison auf dem Bahnhof, sehe ich Menschen aus aller Welt mit Skiern … Wenn ich in den Rummel will, kann ich ihn haben. Wenn nicht, gibt es trotz allem noch genug Plätze, die ruhig sind. Man merkt dort kaum, was in Andermatt los ist während der Hochsaison. Ich schätze es, etwas abseits meine eigenen Wege zu gehen und das gelingt mir auch gut!

Wir leben hier einerseits sehr abgelegen, andererseits sind wir aber auch sehr frei in unserer Lebensgestaltung. So erging es mir während Corona: Wegen der Massnahmen blieb ich meinem geliebten Jodelchor fern. Ich hätte schon gehen können, wollte aber nicht, denn alle wollten die Massnahmen einhalten. Ich nicht. Ich fuhr dann ins Unterland, traf mich mit ein paar Gleichgesinnten und jodelte mit ihnen zusammen. Da war ich dann plötzlich in der Rolle der «Chorleiterin». (lacht) Mittlerweile bin ich wieder zurück im Chor, vor allem, weil mir das Singen in meinem Chor fehlte. Das Thema Corona bleibt unausgesprochen. Trotzdem können wir uns alle irgendwie akzeptieren. Ich hatte lange Mühe mit der Versöhnung, aber ich habe gemerkt, dass sie mich brauchen, und ich habe das Singen sehr vermisst.

Für mich persönlich war der Tag, als die Massnahmen aufgehoben wurden, einer der schlimmsten Momente in der ganzen Krise. Da machen die Machthaber schnipp! – Alle setzen die Masken auf, dann schnapp! – und alle ziehen die Maske wieder ab. Dieser blinde Gehorsam, der hat mich so abgestossen. Mich nervt es, dass die gehorsamen Menschen immer mit Schafen verglichen wurden. Die Schafe sind viel intelligenter. Jedes Tier ist intelligenter als der Mensch. Die würden das nie tun!

Für uns sind die harten Winter die schönen Winter! Da ist alles zu, es ist ruhig, die Menschen werden gesprächiger, man fühlt sich hier oben viel mehr als Gemeinschaft. Da spürt man den Zusammenhalt. Das trägt zum Bedürfnis, eigene Vorräte zu haben, bei. Damit bist du unabhängig von nicht mehr funktionierenden Lieferketten. Wir kennen das: Wenn die Schöllenen zu ist, sind halt auch mal die Gestelle im Laden leer. An einem Ort, wo die Natur sich sehr deutlich in ihrem Rhythmus zeigt, hat man einen stärkeren Bezug zu ihr und lebt mehr in ihrem Rhythmus. Wenn die Ernte draussen nachlässt, die Natur still wird und Schnee über den Matten liegt, macht man sich an die Vorräte, ans Eingemachte.

Ich bin so gross geworden, dass man nichts wegwirft. Meine Mutter und meine Grossmutter achteten schon darauf, dass man nichts vergeudet. Ich habe das so mitbekommen, aber es ist mir auch persönlich wichtig. In erster Linie geht es mir um die Wertschätzung gegenüber den Geschenken der Natur. Es ist schön, wenn man den ganzen Winter die Ernte vom Sommer essen kann. Ich sehe es um mich herum: Die Menschen haben grosse Gärten, können aber gar nicht alles Gemüse frisch verwerten. Dann bin ich eine dankbare Abnehmerin, und mache es in Gläser ein.

Damit begonnen habe ich auf den SAC-Hütten, wo ich während acht Jahren Hüttenwartin war. Im Herbst kochte ich überschüssiges Gemüse, Obst und Früchte ein, so hatte ich immer frische Sachen, auch wenn mal unerwartete Gäste kamen. Beim Haltbarmachen wende ich vor allem das «Einwecken» an. Dazu braucht es Gläser, Gummiringe und Klammern. Einwecken kann man fast alles, da sind kaum Grenzen gesetzt: Von Gemüse, Ratatouille, Suppen, Apfelmus, Fleisch, Kuchen, Brot über Relishes, Süss-Saures und ganze Menüs. Ich habe schon vieles ausprobiert, beispielsweise auch Einmachen ohne Zucker, was wirklich problemlos funktioniert. Inspiration hole ich mir aus Büchern oder im Internet.

Als ich anfing, dachte ich mir: Einkochen ist etwas Altes und das kann nicht so schwierig sein, da es etwas Natürliches ist. Hygienisches Arbeiten ist schon wichtig, aber ich habe den Eindruck, da wird heute ein grosses Brimborium darum gemacht. Früher hatten die Leute nie solche Möglichkeiten wie wir. Ich schaue einfach, dass ich sauber arbeite. Das ist wirklich einfach und es braucht viel weniger, als viele meinen. Es braucht Zeit, macht dafür auch sehr viel Freude: Wenn man dann die vielen Gläser mit den leckeren, gesunden Vorräten sieht, weiss man, dass sich der Aufwand lohnt. Auch für meinen Mann, der manchmal gern zu Fast Food greifen würde – er wählt lieber die gesunde Variante aus dem Keller. Und: Beim Selbstgemachten weiss ich, was drin ist.

Lernen kann man das Einmachen, indem man Vertrauen und Mut hat und einfach ausprobiert. Ich selber habe nur ganz wenig Garten. Ich schaue, ob es irgendwo eine Schwemme an Gemüse gibt und ob ich diese nutzen kann. Oft sind die Leute, die Überschuss haben, froh, wenn man es ihnen abnimmt, weil es ihnen selber weh tut, wenn es aus Überforderung auf dem Kompost landet.

Eingemachtes ist sehr lange haltbar. Ich lasse manchmal einzelne Gläser extra lange stehen, um herauszufinden, ob irgendwann ein Glas schlecht wird. Aber solange ein Glas zubleibt und es gut riecht beim Öffnen, erachte ich es als gut. Das Lagern ist auch unkompliziert. Man kann die Gläser in der Wohnung oder im Keller lagern.

Meine Freizeit ist mir sehr wichtig, ich fülle sie mit dem Sammeln in der Natur, mit Einkochen und Haltbarmachen. Das macht mir Freude und gibt mir Sinn. Meine Nachbarin hat sehr viele Ringelblumen im Garten, und sie «wuchern» ihr zu stark. So darf ich die immer holen für Salben, Tinkturen oder Tee. Ich gebe ihr dann das, was ich daraus herstellte zum Probieren.

Ich schätze die Jahreszeiten und schätze, dass ich mir die Freiheit nehmen kann, das zu machen, was ich gerne tue. Wenn du das machst, was du gerne tust, brauchst du keine Zeit mehr für dich – denn das ist ja dann Zeit für dich. Für viele ist das der Knopf: Die gehen arbeiten und haben jeden Morgen einen Widerstand. Wenn du eine Arbeit machst, die du gerne machst, empfindest du das nicht mehr als Arbeit. So war ich immer: Wenn mir etwas nicht mehr Freude gemacht hat, bin ich gegangen und habe mir wieder etwas Neues gesucht.» ♦

von Prisca Würgler


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