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«Der Tod ist doch ein netter ‹Kerli›»

Murielle Kälin gestaltet aussergewöhnliche Trauerfeiern. Im Interview erzählt sie, wie Verstorbene mit ihr kommunizieren und weshalb sie Glücksmomente in Gurkengläsern sammelt.

«DIE FREIEN»: Frau Kälin, Sie sind ausgebildete Sterbe- und Trauerbegleiterin sowie Trauerrednerin. Wann waren Sie das letzte Mal traurig – und weshalb?

Murielle Kälin: Ich bin zurzeit sehr traurig. So wie es aussieht, wird meine Freundin – die dritte innert drei Jahren – wohl bald sterben. Wenn ich ehrlich bin, habe ich von Trauer in Zusammenhang mit dem Tod gerade ein bisschen genug. Ich kann aber gut mit Trauer umgehen und auch traurig sein. Klopft die Trauer an meine Tür, lasse ich sie herein – sie ist für mich wie ein Gast, der ab und an mal – in den unterschiedlichsten Lebenssituationen – zu Besuch kommt. Ich bewirte sie gerne, sage ihr aber auch, wenn es wieder Zeit ist zu gehen.

Lernt man das Leben mehr schätzen, wenn man wie Sie oft in Kontakt mit dem Tod kommt?

MK: Der Tod ist für mich einer der besten Lehrmeister: Er lehrt einen richtig zu leben und verleiht dem Leben auch seinen Wert. Wer sich seiner eigenen Endlichkeit bewusst ist, lebt anders. Manchmal stelle ich mir die Frage: Wenn ich nun auf dem Sterbebett liegen würde, was wür-de ich bereuen? Der Tod bringt Klarheit. Es wäre schön, wenn wir wieder mehr lernten, was wichtig ist im Leben und was nicht.

Warum ist der Tod in unserer Gesellschaft so ein grosses Tabu?

MK: Wir leben in einer Feel-Good-Gesellschaft: Gegen aussen ist immer alles gut; wir wollen nur die positiven, tollen Emotionen. Alle anderen Gefühle gilt es wegzudrängen oder mit einer Pille zu betäuben. Wir haben verlernt, mit unseren Emotionen umzugehen. Es wäre gut, wenn wir bezüglich unserer Emotionen in eine Neutralität kämen – Leben und Tod bilden zwei Seiten derselben Medaille; mit der Traurigkeit und Fröhlichkeit verhält es sich gleich: Wer noch nie traurig war, lernt die Fröhlichkeit gar nicht schätzen. Je mehr man sich gegen gewisse Gefühle wehrt, desto mehr kommen diese irgendwann doch hoch. Klopft die Trauer an die Tür, will man sie aber partout nicht hereinlassen, rammt sie einem irgendwann die Tür ein, und dann herrscht Chaos.

Gevatter Tod, Freund Hein, Sensen- oder Knochenmann: Wir geben dem Tod viele Namen. Geht es aber darum, die trauernde Person auf den Todesfall anzusprechen, tun sich viele schwer damit – weshalb?

MK: Viele weichen aus, weil sie eben mit ihren eigenen Emotionen nicht umgehen können. Man wird mit der eigenen Endlichkeit konfrontiert, und dies bringt das schön zusammengebastelte Leben gehörig aus dem Gleichgewicht. Ein Todesfall bringt die Chance mit sich, dass man sein eigenes Leben überdenkt: Will ich diesen Job, diese Beziehung, diese Freunde usw. überhaupt noch? Es geht quasi darum, die Spreu vom Weizen zu trennen. Einiges kann so in Bewegung gesetzt werden, das braucht aber Mut. Beim Tod richtig hinzuschauen, braucht ebenfalls Mut. Ich glaube, das können nur die wenigsten. Dabei ist der Tod gar nicht so düster und bedrohlich, er ist doch ein netter «Kerli». …

von Luisa Aeberhard


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