Vom Kopf zum Herzen zur Freiheit
Ein Herzensmensch ist ein Mensch, der nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit dem Herzen denkt. Das verstehen Kopfmenschen nicht.
Ein Wort wurde zum Modewort in der Freiheitsbewegung und begegnet uns seither nahezu täglich: das Herz-Wort. Vom Herzdenken ist die Rede, von Herzensgrüssen, Herzensentscheiden und Herzenswünschen, wir benützen das Wort in Sätzen wie: «Du musst auf dein Herz hören» oder «Lass’ dein Herz sprechen», und eine Sängerin aus der Bewegung tingelt quer durch die Schweiz und freut sich darauf, «viele von euch Freigeistern und Herzensmenschen wiederzusehen».
Das Herz ist der gemeinsame Nenner, könnte man sagen, der uns alle verbindet. Diese Gemeinsamkeit ist inzwischen so selbstverständlich geworden, dass wir darüber gar nicht mehr nachdenken, was ein Herzensmensch eigentlich ist. In einem Satz könnte man sagen: Ein Herzensmensch ist ein Mensch, der nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit dem Herzen denkt. Er prüft die Information, die der Kopf erfasst, mit dem Herzen. Das Herz ist die spirituelle Mitte des Menschen. Im Herzen sitzt die Intuition. Herzdenken ist intuitives Denken, und Intuition kommt aus dem Lateinischen. Intuitio bedeutet «unmittelbare Anschauung», intueri «genau hinsehen, anschauen». Man könnte auch, mit etwas Vorsicht, von «kritischem Denken» sprechen.
Kritisches Denken ist hinterfragendes, suchendes Denken. Wer kritisch denkt, trägt den Keim dazu möglicherweise schon in sich, wenn er zur Welt kommt. Wie wohl die meisten, die diese Zeilen lesen, habe auch ich schon als junger Mensch das Denken der Erwachsenen hinterfragt. Ich habe «selber» zu denken begonnen. Damit landete ich bei der Linken, deren Utopie mich begeisterte – bis ich merkte, dass die linke Ideologie jede eigenständige Haltung ausschliesst. Wieder setzte sich der Keim meines kritischen Denkens durch, und ich löste mich von der Linken. Von Dogmen war ich für immer geheilt. Ich begab mich auf den «Weg zu einem persönlichen Denken». Er führte mich in die Spiritualität, die mich seither begleitet und nährt.
In der Freiheitsbewegung ist die Spiritualität stark verankert. Aber von all den Tausenden, die auf dem Zenit der Bewegung in Bern auf die Strasse gingen, interessieren sich längst nicht alle für Spirituelles. Trotzdem sind sie Herzensmenschen. Weil sie selbstständig denken. Weil sie auf auf ihr Inneres hören. Weil sie auf ihren gesunden Menschenverstand vertrauen und versuchen, ihren eigenen Weg zu gehen. In all diesen Menschen liegt eine grosse Kraft, die zurzeit etwas schläft, so wie jede Bewegung ihre ruhigeren Zeiten erlebt. Doch diese Kraft wird wieder erwachen, wenn die Not es gebietet.
Wenn wir aber die Menschen in der Freiheitsbewegung als Herzensmenschen bezeichnen – was sind dann die andern? All jene, die sich bedenkenlos impfen liessen und bedenkenlos alles glauben, was der Mainstream ihnen erzählt, ob es sich um Corona handelt, um die Ukraine oder ums Klima? All jene, die Tür an Tür mit uns wohnen, im gleichen Volleyballclub mit uns spielen, sogar zur gleichen Familie gehören und dennoch, so scheint es, einer anderen, unbegreiflichen Welt angehören? Was sind dann sie?
Für mich war die Antwort von Anfang an klar: Sie sind Kopfmenschen. Denn der Kopf ist das Gegenstück zum Herzen. Wie die Herzensmenschen erfassen auch die Kopfmenschen eine Information mit dem Verstand. Darin sind alle Menschen gleich. Aber dann denken die Kopfmenschen nicht mehr weiter. Sie prüfen die Information nicht mit dem Herzen. Sie übernehmen sie einfach.
Vielleicht haben auch sie dieses «Gen» schon in sich getragen. Oder sie finden das Mainstreamdenken bequemer. Was immer dazu geführt haben mag, dass es Herzensmenschen und Kopfmenschen gibt: Die beiden Verhaltensweisen stehen sich diametral gegenüber. Und wie nie zuvor trat dieser Gegensatz in der Corona-Zeit an die Oberfläche. Deshalb der Schock, das gegenseitige Unverständnis, warum die anderen so «falsch» denken. In Krisenzeiten offenbaren die Menschen, wie sie wirklich sind.
Doch von «Kopfmenschen» spricht in der Freiheitsbewegung niemand, obwohl das Wort existiert und im Wörterbuch der deutschen Sprache als «einseitig vom Verstand bestimmter Mensch» definiert wird. Dennoch zögern wir, kopfgesteuerte Menschen so zu bezeichnen.
Dieses Zögern hat damit zu tun, dass die Bedeutung des Kopfes in unserer westlichen Welt nach wie vor dominant ist. So wie sich die Frauen in ihrer Emanzipation noch immer viel zu sehr von patriarchalen, männlichen Werten beeinflussen lassen, lassen sich Herzensmenschen noch immer viel zu sehr von der Allmacht des Kopfes beeindrucken. So wie die Frauen noch viel zu wenig ihrer Spiritualität vertrauen, so unterschätzen Herzensmenschen noch viel zu sehr ihre Herzenskraft.
Vor allem intellektuell begabte, akademisch gebildete Freiheitsbewegte möchten den Kopf nicht den Kopfmenschen überlassen. Sie befürchten, als Herzensmenschen nicht ernstgenommen zu werden. Sie möchten keine «Esoteriker» sein, die nur ihrem «Bauchgefühl» folgen – obwohl das Bauchgefühl im Grunde ein anderes Wort für Intuition ist. Sie möchten nicht, dass die Kopfmenschen sie belächeln und ihnen sagen: Was soll das ganze Gefasel vom «Herzen»? Das Herz ist eine biologische Pumpe, mehr nicht. Was zählt, ist der Kopf. Die Intelligenz. Die Logik. Der Scharfsinn!
Einverstanden. Ohne Kopf kann der Mensch nicht leben. Die Intelligenz ist sein Grundkurs, die Logik sein Bachelor, der Scharfsinn sein Master. Aber der Kopf ist nichts als ein Mittel zum Zweck. Das Gehirn ist ein Werkzeug, ein Instrument, das die Aufgabe hat, dem Herzen zu dienen. Mehr nicht. Im Herzdenken ist der Kopf inbegriffen. Der Kopf ist Schritt 1. Schritt 2 ist das eigene Denken. Das Nachdenken. Das persönliche Denken. Aber Kopfmenschen verstehen das nicht. Weil sie über den ersten Schritt nicht hinauskommen. Deshalb sind sie Kopfmenschen. Deshalb dürfen wir sie so nennen. Sie so zu nennen ist keine Wertung. Wir sind nicht besser als sie, nur anders. Wir sagen nur, wie sie denken.
Werden sie immer Kopfmenschen bleiben? Die Gedanken sind frei. Jeder Mensch kann ein Herzensmensch werden, wenn er es will. Das haben die letzten Jahre gezeigt. Es gab viele Überläufer, und sie werden in Zukunft noch zahlreicher sein. Doch der Kopfmensch muss wissen: Selber zu denken, braucht Mut. Und Verzicht. Und Bereitschaft zum Zweifel. Und Willenskraft. Ein Herzensmensch ist kein Zustand. Sondern ein Weg. Und vor allem ist es eine Verpflichtung. ♦
von Nicolas Lindt
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